Freeriden und Skitourengehen im Kleinen Walsertal (05.02.2023)

Stock sei Dank!
Oder: Wie Du den Powder findest …

Skigebiet Walmendinger Horn, an einem Samstag im Februar. So mancher Betrachter staunt, andere schütteln den Kopf: Da stürmt diese kleine Freerider-Gruppe fast synchron immer wieder dieselben zwei bis drei Hänge hinunter, natürlich nicht auf der Piste, sondern im freien Gelände. Sichtlich bemüht, jedes Mal eine neue Spur durch den schon ziemlich zerfahrenen Schnee zu ziehen, werden die fünf Sportler immer wieder fündig, auch wenn dies bei aller Konzentration nicht leichtzufallen scheint.

Leit-Wolf ist dabei der Martin aus Rettenberg. Mit Rufen wie erstens „Pulver!“ über „Klasse Schnee!“ bis hin zu drittens „Echt super Pulver, hierher!“ treibt er sein Gefolge an. Nächste Followerin ist meistens seine Frau Ingrid, der diese Klassifizierung von Schneequalitäten anscheinend nicht unbekannt ist. Ja, vielleicht handelt es sich hierbei sogar um einen Kommunikations-Code zwischen den beiden. Denn manchmal (bei Ruf Nummer 3) fährt die Gattin exakt neben seiner Linie, dann wieder gaaanz woanders – immer aber kommentiert sie seine derart verschieden geäußerte Begeisterung mit entsprechenden Eskalationsstufen des Lachens – vom Kichern und Glucksen bis zum Lauthals-Rausprusten.

Das geht so ein paar Stunden rauf und runter, dann gibt es eine kleine Einkehr zum Kaffeetrinken (Ingrid: „Normal macht der Martin beim Freeriden keine Pause, der will nur fahrn, fahrn, fahrn!“). Nach der Unterbrechung ist die Schneelage nicht besser geworden, schon wegen der vielen sonstigen Freerider. Also Wechsel zu einer anderen Aufstiegshilfe. Auch hier sieht die Freeride-Abfahrt auf den ersten Blick zerpflügt aus. Beim Rauffahren wird das übrige Gelände umso genauer ausgespäht. Dabei passiert es: Einem aus der Gruppe fällt sein Skistock vom Sessellift aus zehn Metern Höhe runter in den Bergwald, in ganz tiefen Schnee knapp unterhalb einer Lawinenschutzverbauung.

Was tun? Klar, den guten Leki-Stecken müssen wir rausholen, lautet die Antwort – auch wenn dort bisher kaum jemand runtergefahren ist. Der Chef voraus, kämpfen sich die fünf Unentwegten zwischen verstreut stehenden Tännchen parallel zur Lift-Trasse steil hinunter und bergen den Stock. Martin frohlockt vor Vergnügen, denn schon bis zur Fundstelle war das einsame Terrain so gut wie unberührt. Anschließend wird es sogar noch besser, der Schnee in diesem Schattenhang ist dank windgeschützter Lage ein wahrer Traum. „Jaaa, geil, supersupersuper Powder!“ hallt nun sein lauter Ruf durch das Tal. Und die Gattin? Ingrid ist jetzt wie ausgeknipst, einfach nur selig lächelnd wedelt sie ihm hinterher. Doch noch ein rundum perfekter Freeride-Tag, Stock sei Dank!

Im Gespräch:
Sie ist seit mehr als 40 Jahren regelmäßig in den Bergen unterwegs: Sigi aus Immenstadt war beim Freeridetag am Walmendinger Horn dabei, für die passionierte Skitourengeherin eine ziemlich neue Erfahrung.

Hallo Sigi, wie bist du zum Freeriden gestoßen?
Sigi: Auf den Geschmack bin ich letztes Jahr gekommen, als ich mit den beiden Rettenbergern Manuel und Martin zum Freeriden nach Disentis in der Schweiz gefahren bin. Da sind wir an diesem Tag bestimmt sechs- bis siebentausend Höhenmeter in bestem Pulver gefahren, das war gigantisch. So einen ‚Flow‘, wie Manuel das nennt, hatte ich bei aller Leidenschaft zum Skifahren noch nie erlebt, da musste sogar die Mittagspause ausfallen.

Aber Freude am Tiefschneefahren hast du doch bestimmt auch bei deinen Skitouren erlebt …
Sigi: Klar, das Skitourengehen wird auch meine liebste Wintersportart bleiben, schon wegen Einsamkeit und Genuss der Bergwelt. Aber das Freeriden ist erstens eine gute Ergänzung dazu, und zweitens bringt es einen auch skitechnisch voran. Du kannst darüber deinen Stil verbessern, was einfach mehr Spaß und Sicherheit auch bei den Abfahrten auf Skitour schafft.

Was meinst du, woran genau liegt das?
Sigi: Ganz einfach daran, dass du viel mehr fährst und dadurch ganz anders reinkommst. Auf Skitour fahre ich einen Hang ja nur einmal runter. Das sichere Runterkommen steht da im Vordergrund, was Neues ausprobieren kommt da normalerweise nicht vor. Beim Freeriden kann ich mit dem Lift mehrfach hochfahren und dieselbe Abfahrt noch mal mit etwas anderer Technik versuchen, so lernst du viel leichter dazu.

Das heißt, dass unser Freeride-Ausflug zum Walmendinger Horn nicht dein letzter war, oder?
Sigi: Genau, ich werde mich garantiert wieder bei Martin und Manuel anmelden. Nicht nur wegen Dazulernen, sondern weil es super Spaß macht. Ich hoffe insbesondere, dass im nächsten Winter der zuletzt immer ausgefallene Freeride-Ausflug zum Säntis stattfinden kann.

Liebe Sigi, schön, dass du dir Zeit für dieses Gespräch genommen hast. Als kleines Dankeschön hier noch ein bisschen Lyrik* für dich als Skitouren-Liebhaberin:

Der Pistler Gegenstück, die Tourenfahrer
sind idealer, doch auch rarer.
Sie suchen abseits vom Gedränge
der Menge freie Pulverhänge
und finden auch noch Zeit und Muße
zu schwelgen im Naturgenusse.

Bericht von: Jens Lauer

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