Der Bergfex machte schon seit Montag gute Laune: Donnerstag und Freitag soll´s endlich Neuschnee geben. Denn am Samstag soll dazu auch noch die Sonne runter brennen.
Schließlich ist wieder Freeride Time mit Manuel und Martin.
Und tatsächlich, so kam´s.
07:50 Uhr Treffpunkt Mc Donalds in Sonthofen und dann ab nach Schattwald. So gegen 08:45 standen 8 wackere Freunde des frischen Powders auf dem Parkplatz der Wannenjochbahn. Schnell die Tagespässe kaufen, einen LVS-Check und schon nahmen wir gepflegt Platz in einem der frostigen 3-er Sessel. Bei echt zapfigen Temperaturen schwebten wir über glitzernden Neuschnee und frisch eingeschneiten Fichten hinauf in einen stahlblauen Himmel. Ich war erstaunt, wie lang dieser Lift ist. Oben angekommen wartete schon Manuel auf seine Truppe und zeigte verheißungsvoll nach unten: „Erscht fahrama doo nunter, hier wieder hoch und dann fellma auf!“
Das klang verlockend und so begab sich die Meute etwas unterhalb der Gipfelstation ins Gebüsch.
Der richtige Einstieg war nicht so leicht zu finden, aber nach ein paar Fichtenzweigen im Kragen später befanden wir uns auf einem Ziehweg, der sich immer tiefer in den bewaldeten Hang hinein zog. Naja, abgesehen davon, dass 1 Meter Schnee fehlte, sah es schon gut aus, was sich hier uns bot. Allerdings hegte ich doch einige Zweifel, ob diese überdeckten Buckel nicht doch massive Baumstümpfe, Baumstämme, Felsbrocken o.ä. Neckereien sein könnten. Die anderen schienen da unbekümmerter zu sein und stürzten sich die verschneiten Waldlichtungen runter. Jeder wollte möglichst Unverspurtes noch abkriegen. Etwas weiter unten trafen wir auf die Skipiste, rein in den Lift und gleich wieder hoch.
Als ich oben ausstieg, standen die anderen schon wieder an der Kante. Manuel meinte, wir fahren noch einmal hier runter und steigen dann auf. Ich verneinte wie aus der Pistole geschossen.
Mir war die erste Abfahrt einfach nicht geheuer, ob der nicht vorhandenen Unterlage und würde mir statt dessen einfach nen Kaffee rein ziehen. Auch wenn sich die Rolle des Ausscherers … naja…. Gelinde gesagt, etwas „dürftig“ anfühlte, erschien mir diese Variante doch gemütlicher und sicherer. Zu meinem Erstaunen reagierte Manuel super flexibel. Er fragte kurz in die Runde und schon war eine Mehrheit gefunden. Wir fellen gleich auf! Das nächste Ziel hieß: Rauf zur 1900 m hohen Kuhgündspitze.
Über eine gleißend weiße Fläche arbeiteten wir uns Spitzkehre über Spitzkehre nach oben. Ich tat mir seltsam schwer mit dem Laufen allgemein und mit dem Tempo der anderen im Besonderen. Vor einer Woche war ich noch auf der Güntlesspitze. Das fiel mir viel leichter, obwohl sie fast 3 mal mehr Höhenmeter zum Laufen hat. „Was solls, – wird schon ….“ beruhigte ich mich. Hier und da kamen schon die ersten von oben runter und durchpflügten mit Inbrunst den frischen Tiefschnee. Das machte Beine, denn irgendwie wollte man ja davon auch noch was abkriegen. Oben auf dem Gipfel angekommen, warteten schon lachende, Energieriegel kauende Gesichter. Die Fernsicht war atemberaubend. Der Blick auf Rohnenspitze, Zirleseck, Ponten und Bschießer waren echt jeder Schweißtropfen wert. Mittlerweile haben sich noch andere Bergfreunde auf dem Gipfel in Stellung gebracht und der unverspurte Schnee wurde eindeutig nicht mehr. Eher weniger.
Also machte Manuel ein klein wenig Dampf und wenige Minuten später standen wir in den Startlöchern: „Lawinentechnisch isches okay! Bassad halt auf, aber ihr könnt fahra wiana wollt“ lautete seine Ansage. Und hups – weg war er. Ich selbst, als überwiegend Allein-Tourengänger bräuchte viel länger, um zu schauen, irgendwie ein Gefühl für den Hang zu kriegen und „bei mir anzukommen“… aber keine Chance. Nix wie hinterher! Entsprechend falsch auf die Ski geschraubt fühlte ich mich bei der Abfahrt. Keine Ahnung, wie es aussah, aber die Feinmotorik ließ für mich zu wünschen übrig. Etwas weiter unten am Hang warteten Manuel und 2 andere bereits.
Meine Oberschenkel brannten etwas verkrampft. Und das nach dem ersten Hang! Wer in meinem biblischen Alter angekommen ist, weiß, das ist ein klares Signal, auf die innere Stimme zu hören: Atme – Mach langsam – finde dein Tempo. Aber mach das mal in einer Gruppe tatenhungriger Powder-Freaks! Also fackelte ich nicht lange und wieder nix wie hinterher.
Und was soll ich sagen…. nach ein paar flotten Schwüngen vorbei an einer Latschengruppe, tat sich vor mir plötzlich der Boden auf…. Nach einer unappetitlichen Flugphase landete ich ca. 2-3 Meter weiter unten mit Augen so groß wie Spiegeleier zunächst auf 1 Ski, konnte aber einen Überschlag gerade noch vermeiden. Puuuh…alles gut. Das war für mich der finale Warnschuß: Achte Deine innere Stimme. Um jeden Preis. Wenig später kam auch ich weiter unten auf dem Sattel zwischen Kühkundkopf und Bschießer an.
Hinter mir nur Martin als Lumpensammler. Sofort informierte ich ihn über meine Situation, und dass ich etwas langsamer machen werde. Er quittierte das mit vollem Verständnis – wie cool! Jetzt ging es mir schon besser 😊 Die Gruppe steuerte die erste Rinne nach unten an. Sie war zwar bereits ordentlich eingefahren, lag aber voll im Schatten, sodass uns leichter, trockener Neuschnee beschert wurde. Hier an der Kante ließ ich mir meine Zeit, und betrachtete die Szene, wie die anderen schon hier und da runter zischten.
Wie, als würde sich ein Kamera-Zoom scharf stellen, entdeckte ich einen kleinen Felsgrat, der nach hinten nicht einsehbar war. Der fing mein Interesse.
Zielgenau steuerte ich auf ihn zu, überschritt ihn und …. Yeaah – ein völlig jungfräulicher Hang tat sich vor mir auf! Mit Wonne und Genuß nahm ich ihn, wo unten die anderen schon mit fröhlichen Gesichtern warteten. Rasch ging es weiter in netter Abfahrt zu einem kleinen Schlepplift. Bei der Liftfahrt wurde der Blick frei in die anderen beeindruckenden Scharten von Bschießer und Ponten. Beim genauen Hinschauen entdeckte man, wie ganze Karawanen anderer Tourengänger über die Schneefelder und durch die Felsformationen wumselten…
Bei diesem Anblick blitzten bei mir unweigerlich Begriffe wie „Overtourism“ oder „Grenzen des Wachstums“ in meinem Kopf auf. Meine Güte – wie einsam und einfach war das in den 80ern….. wo soll das hin führen….? Die Gruppe folgte Manuel in Richtung Zöblen und ich ließ es nachdenklich laufen.
Bald erreichten wir über sanfte Hänge den 4er Sessel von Zöblen, der uns zügig hoch schaufelte. Am Ausstieg schlug Manuel vor, etwas weiter hinten im Gebüsch eine Abfahrt zu nehmen, dann wieder hoch zu fahren, um anschließend den Weg wieder zurück nach Schattwald anzutreten. Wieder kam bei mir der klare Impuls „Nein“, begleitet von dem bekannt „dürftigem“ Gefühl des Ausscherers: Ich will gleich nach Schattwald. Manuel wieder voll flexibel: Ja klar – dann treffen wir uns oben an der Gipfelstation Schattwald. Coolerweise fand Sven diese Idee auch gut, schloß sich mir an und so trennten sich erstmal die Wege.
Nach gemütlicher Fahrt über die Pisten gelangten wir zum Sessellift Schattwald und ließen uns friedlich in der nun wärmenden Sonne in die Höhe schaukeln. Oben angekommen waren wir uns schnell einig: Jetzt ist Brotzeit angesagt und wir warten hier auf die anderen. Ein paar Meter abseits fanden wir ein ideales Plätzchen, drückten unsere Ski in den weichen Schnee zu Sitzflächen und packten unsere Mitbringsel aus. Beim Anblick des mega Panoramas, und beim Biss in mein üppig belegtes Vinschgauer meinte ich zu Sven: „Wie geil – ich glaub, da gibts Schlimmeres“ Sven nickte eifrig und bestätigte wild kauend: „Jaja – auf jeden Fall besser als a roschtige Heugabel im Fiedla“…
Nach einer Weile spuckte der Sessel die anderen aus. „Und wie war´s?“ Manuel winkte ab… „Kannsch vergessen…“ Statt dessen lugte er umso interessierter auf mein Vinschgauer und verkündete den anderen, dass dies ein ausgezeichneter Platz sei für ne deftige Pause. Bald saß die Truppe zufrieden mampfend verstreut im Schnee, Stille und Gespräche im Wechsel. Auf diese Weise erfuhren wir von Sven aktuelle News zur Jugendsprache. Diese auf ihn selbst angewandt, konnten wir feststellen, er ist mit seiner „korrekten Kutte“ voll cool durchgestylt.
Wenig später schlug Manuel vor, wieder aufzufellen, nochmals zum Kühgundkopf hochzulaufen, um dann die Ostscharte zu nehmen, was sofort allgemeine Zustimmung fand. Nur meine nicht…. Wie´s mir damit ging ist mittlerweile bekannt. Aber ein Fall von „Kanni au nix machen“. Also zog ich vor, der Wirtschaft einen Besuch abzustatten, die Sonne weiter zu genießen, während die Anderen am Berg verschwanden. Bald aber kroch eine unangenehme Kälte in mir hoch und ich verzog mich nach innen in die Stube. Irgendwas passt heut bei mir nicht….
Nach eineinhalb Stunden trudelten die anderen wieder ein und gönnten sich warme Suppen, Kuchen und Getränke. Die Ost-Scharte muß wirklich genial gewesen sein – ich freute mich für die anderen und war selbst zu-frieden. Die Sonne stand nun schon deutlich tiefer und so entschlossen wir uns, noch einmal rüber zu laufen über das Joch zum Bschießer. Dort wartete mein Traumhang, wann immer sich ein Blick bot: Breit und sanft, im unteren Teil besprenkelt mit einzeln verstreuten Latschen wie Schoko-Splitter auf weißer Sahnetorte. Nach der Abfahrt vom Schlußhang der Kühgundspitze mit aufgepappten Fellen, blockierte meine Bindung beim Rückbau in den Laufmodus. So lief ich wieder als Schlußlicht weit hinter den anderen und genoß die Stille beim Aufstieg zum Bschießer in der Abendsonne. Als ich weiter oben die Gruppe erreichte, kam schon Manuel entgegen und fragte mich, wie sehr motiviert ich sei, noch weiter nach oben zu steigen. Ich verneinte…..
Ja super, dann gehen wir weiter und ihr beide – Sven und meiner-einer, fahren ab. Nach kurzer, herzlicher Verabschiedung verschwand er im Latschengebüsch, während Sven und ich uns fertig machten zur Abfahrt. Die Sonne färbte sich langsam golden, im Tal bildeten sich flache Nebel, die weiße Pracht lag weit und einladend vor uns.
Lange Schatten zeigten an, es ist Zeit abzufahren. Dieser Traumhang besiegelte für mich diesen Freeride-Tag als absolutes Highlight höchsten Wintergenusses.
Wie schwerelos reihte sich ein Schwung an den anderen, während der Powder in sanften Kräuseln hoch staubte, in der Abendsonne glitzerte und ein breites Grinsen ins Gesicht zauberte. Weiter unten hielt ich inne, schaute ungläubig zurück nach oben. Ich wollte den Augenblick trinken, inhalieren, mich an ihm besaufen…. aber leider drängte die Zeit Sven heimwärts. Ein Termin wartete. So verabschiedete ich mich mit Dank an alle guten Berggeister und Bergfeen für ihren Schutz und verschwand hinter Sven in der Rinne hinab nach Schattwald.
Seinen eigenen Weg in der Gemeinschaft finden und gehen. Sich hier zu trennen und sich dort wieder zu treffen, um Geschichten mit zu bringen und lebendig auszutauschen.
Am Berg, wie im Leben.
Diese Erfahrung war meine persönliche Überschrift an diesem besonderen Tag. Wie es wohl den Anderen damit ging….?
Ganz herzlichen Dank an Manuel und Martin für die überragend gute und sichere Führung durch den Tag.
Text: Stephan Bauermeister